Jede Sprache ist schön, wenn sie das Bewusstsein erweckt
und im Geknechteten den Freiheitssinn hervorruft.

Wolof-Dichter Sëriñ Musa Ka 1891-1966

Zur Idee des Festivals

CROSSING BORDERS: translate - transpose - communicate | übersetzen - übertragen - verständigen

Wie würde ein/e AfrikanerIn uns die Bedeutung von „ubuntu“ erklären?
Wie würden wir ihr/ ihm „Kummerspeck“ übersetzen?
Was könnte das Bild vom afrikanischen, hierzulande abfällig gemachten „Palaver“ – positiv bedeuten?
Ohne sprachliche Verständigung mit anderen Muttersprachlern werden mehr Gerechtigkeit, Friedfertigkeit und Teilhabe von MigrantInnen in unseren transkulturellen Gesellschaften nicht möglich sein.
Deshalb will die Literatur- und Bildungsreihe stimmen afrikas Sprach-Grenzen überwinden und den vielsagenden Akt der Übersetzung bewusst machen, in allen seinen Dimensionen ausloten und die gelungene Übertragung in andere – in unserem Fall afrikanische - Lebenswelten eröffnen und auch genießen.

Zum 10-jährigen Jubiläum feiert stimmen afrikas vier Tage lang mit 33 Gästen aus 19 Ländern und lädt alle an Literatur, Sprache(n) und Afrika interessierten Menschen zu Lesungen, Workshops, Diskussionen und Performances ein. Zusammen mit der nigerianischen Verlegerin Bibi Bakare-Yusuf als Gast-Kuratorin beschäftigen wir uns mit kultureller und literarischer Übersetzung, mit Mehrsprachigkeit und interkultureller Kommunikation. Die geopolitische Situation und die interkontinentale Migration verändern die Beziehungen zwischen Afrika und Europa. Afrikanische Denker wie Achille Mbembe und Felwine Sarr stellen den Universalitätsanspruch des „Westens“ infrage und entwerfen die Vision eines selbstbestimmten Afrikas mit seiner vielfältigen Kunst und Kultur. stimmen afrikas will diesem neuen Afrika-Denken und den Perspektiven für mehr Gerechtigkeit, Frieden und gegenseitigen Respekt eine Bühne bieten.

In Lesungen & Performances werden die SchriftstellerInnen ihre Sprachen zum Klingen bringen und ihre poetischen, oft zutiefst humanistischen und auch humorvollen Sichtweisen auf menschliches Leben und menschliche Gemeinschaft darbieten. BesucherInnen des Festivals dürfen sich freuen auf amüsante und überraschende Unterhaltung, auf die anrührende und farbenprächtige Schönheit afrikanischer Literaturen, auf spielerische und intellektuelle Türöffner in bislang völlig vernachlässigte Dimensionen von Mehrsprachigkeit und Transkulturalität.

Interdisziplinäre Workshops & Podiumsdiskussionen werden Gelegenheit schaffen für fachlichen Austausch, Begegnung mit Autor*innen und ExpertInnen, ihren Eingaben, Übersetzungen und literarischen Werken. „Kulturnomaden“ (Nam June Paik), also grenzüberschreitend tätige, auch migrantische und diasporische KünstlerInnen und LiteratInnen sind ideale LehrmeisterInnen für manchmal auch konfliktreiche Balanceakte zwischen Kulturen und Sprachen.

Für eine Neugestaltung der afrikanischen Gesellschaften ist es entscheidend, eine "eigene Stimme zu finden", und sich um die "Hörbarkeit und Verständlichkeit der eigenen Stimmen zu sorgen". Nur mit einer starken Stimme kann man einen Dialog führen. Mit der eigenen Stimme sprechen zu können, bedeutet Versöhnung mit den vielfältigen Quellen der eigenen Identität.
Felwine Sarr, Afrotopia, Matthes & Seitz, Berlin 2019

Die Geschichte der Kommunikation mit Afrika ist geprägt von Gewalt – einschließlich der Sprachen als Instrument der Herrschaft. Bis heute werden die meisten Kinder aus den über 2000 afrikanischen Sprachfamilien in den Schulen gezwungen, in den sogenannten „Amtssprachen“ der ehemaligen Kolonialisten zu lernen – bei Androhung von Prügelstrafen. Die bestandene Prüfung in der europäischen Fremdsprache war und ist das Nadelöhr zur Universität. Außerdem beherrschen diese fremden Sprachen Politik, Medien und Verwaltung.
Amtssprachen für die Gebildeten und Muttersprachen für die Analphabeten führten zur Spaltung der Gesellschaften: Bis heute sprechen die Eliten mit den Europäern in den imperialen Sprachen. Daher sind ethnische Minderheiten und bildungsferne Gruppen in vielen afrikanischen Ländern von wichtigen sozialen und politischen Prozessen ausgeschlossen.

Die brutale Abwertung der Muttersprachen als „primitiv“ bewirkte überdies eine umfassende Demütigung ihrer Sprecher*innen sowie Dissonanzen in den Köpfen und tiefgreifende Entfremdung von Herkunft und emotionaler Bindung an Familie und Gemeinschaft. Ist doch die Sprache das Medium von Selbstverständnis und Welterkenntnis, von unverwechselbaren Kulturen sowie deren Ethik und Ästhetik.

Die physische Gewalt des Schlachtfeldes wurde von der psychischen Gewalt des Klassenzimmers abgelöst. (…) Die Gewehrkugel war Mittel der physischen Unterwerfung. Die Sprache war Werkzeug der geistigen Unterwerfung.“

Ngũgĩ wa Thiong’o, Kenia, Dekolonisierung des Denkens, Unrast Verlag, 2017
hrsg. von stimmen afrikas und der Afrika-Kooperative Münster

stimmen afrikas hat das Standardwerk von Ngũgĩ wa Thiongo, Dekolonsierung des Denkens, fast 30 Jahre nach der Erstausgabe in Kenia in Deutsch herausgegeben und sich seither intensiv mit dem Thema der Sprachpolitiken und der Vielfalt der Sprachen in Afrika beschäftigt. Dies korrespondiert mit den Debatten um Dekolonisierung und Restitution von Kulturgütern, die seit einigen Jahren an Kraft und Resonanzraum gewonnen haben.

Zur wachsenden Wertschätzung afrikanischer Kultur gehört auch die der afrikanischen Sprachen bzw. die Grundsatzfrage: Was hat das alles mit uns zu tun? Muss die anmaßende Annahme eines europäischen Universalismus – samt der Herrschaft seiner Sprachen – nicht endlich aufgegeben werden? Schließlich wurde und wird bis heute auch mit der zwangsweisen Uniformierung der Kulturen und Sprachen ein elementares Menschenrecht verletzt.

Mit der notwendigen Diskussion darüber können wir im eigenen Land beginnen, denn Auseinandersetzung mit Sprachen bedeutet auch immer Selbstreflektion. Welche Möglichkeiten, Wege und Instrumente transkultureller Vermittlung und Praktiken gibt es?

• „Übersetzen" heißt, sich und anderen Zugang zu bislang unbekanntem Wissen und unbeachteten Erfahrungen zu verschaffen, neue Orientierungen und Werte zu erkunden.
• "Übersetzen" bedeutet daher auch Differenzen und Irritationen auszuhalten, die Begrenztheit des eigenen Horizontes anzuerkennen und Nicht-Verstehen zu akzeptieren.
• „Übersetzen“ ist überdies eine Aufgabe, die mit Leidenschaft und Begeisterung an Vielfalt, Klängen, Mehrdeutigkeiten und ästhetischen Möglichkeiten einhergehen kann.

Auch Lesen und Zuhören sind Übersetzungsleistungen, die nachweislich Empathie schulen. Nicht zuletzt um unser selbst willen. Unsere transkulturellen Gesellschaften sind auf mehr Kompetenzen im Übersetzen angewiesen, im weitesten Sinne. Denn der westliche Universalitätsanspruch bei Wissen und Werten stößt politisch, ökonomisch und auch ökologisch an seine Grenzen. Spätestens die klimapolitische Katastrophe macht deutlich, dass unsere individualistischen und rücksichtslos auf Wachstum setzenden Lebenskonzepte gescheitert sind und wir neue Wissensquellen und Gemeinsinn orientierte Entwürfe brauchen.

Hohe Mobilität in unseren Gesellschaften, freiwillig oder unfreiwillig, setzt auch bei uns etwas in Bewegung. Mental und auch sprachlich werden neue Perspektiven eröffnet. Wir vergleichen, übersetzen, übertragen, wenn wir in einem anderen kulturellen Umfeld kommunizieren. Und in diesem Übersetzungsprozess treffen wir auch unwillkürlich politisch und ethisch relevante Entscheidungen. Diese will stimmen afrikas in den Festivaltagen bewusstmachen und dazu einladen, dem Anreiz der Assoziation und des Imaginierens zu folgen und den Reichtum der Sprachen sowie die lustvolle Eleganz der literarischen Ausdrucksformen zu bestaunen.

In einigen afrikanischen Ländern besinnt man sich inzwischen auf die große Bedeutung der einheimischen Sprachen. Im Senegal wird inzwischen bis einschließlich 6. Klasse in Wolof unterrichtet; Französisch ist die Amtssprache neben derzeit sechs nationalen Sprachen. Südafrika hat seit 1996 elf offizielle Sprachen: Englisch und Afrikaans, wie schon zu Zeiten der Apartheid, und neun afrikanische Sprachen. In der Schule lernen die Kinder neben der „Amtssprache“ Englisch auch in den neun afrikanischen Sprachen. Radio und Fernsehen haben regionalsprachige Sendungen und auch Zeitungen erscheinen in verschiedenen Sprachen.

Nicht alles lässt sich ändern, aber nichts ändert sich von selbst.
James Baldwin.

Viele anregende und vergnügliche Stunden wünscht Ihnen

Christa Morgenrath

Förderer